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Ausland Brexit-Gespräche in Paris

Macron bleibt hart, aber Johnson sieht sich als Sieger

Macron weist Brexit-Pläne von Johnson zurück

Vier Wochen lang hat Boris Johnson der EU die kalte Schulter gezeigt, jetzt möchte er reden. Nette Worte werden gewechselt – erst in Berlin, dann in Paris, aber beim Thema Backstop bleiben beide Seiten hart.

Quelle: WELT/Angela Knäble

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Der britische Premierminister Boris Johnson verkauft seine Europa-Tour als vollen Erfolg, britische Medien feiern ihn. Dabei sind seine Gesprächspartner Angela Merkel und Emmanuel Macron von der EU-Linie gar nicht abgerückt.

Der Koch des französischen Präsidenten verrät im Vorfeld nie, was auf dem Menüplan steht, aber dieses Mal waren sich alle Beobachter einig: Das gemeinsame Mittagessen von Emmanuel Macron und Boris Johnson am Donnerstag im Élysée werde „ziemlich gesalzen“, wenn nicht „scharf gewürzt“ sein.

Auch ein „Armdrücken“ zwischen dem Gastgeber und dem britischen Premierminister wurde vorausgesagt. Denn Macron gilt als der Hardliner in der Riege der europäischen Regierungschefs. Er hat immer wieder von den „Lügen“ gesprochen, die die Brexit-Verfechter den Briten aufgetischt hätten. Zu diesen Lügnern gehört in seinen Augen fraglos auch Johnson.

Immerhin war der Himmel blau, die Stimmung scheinbar entspannt, als sich Präsident und Premierminister am Donnerstag vor ihrem Arbeitsessen im Hof des Élysée die Hände schüttelten und für ein kurzes Statement vor die Presse traten.

Johnson, der zum ersten Mal seit seiner Ernennung vor vier Wochen auf Macron traf, versicherte, dass er sich einen Brexit mit Vertrag wünsche, und lobte Angela Merkels „positiven Geist“. Klar war, dass er sich diesen auch vom Hardliner Macron erhoffte.

Denn Johnson will zu Hause in Großbritannien den Eindruck erwecken, dass seine Drohung mit dem No Deal zum 31.Oktober bei den beiden großen EU-Staaten Wirkung zeigt. Bei den Wählern hat seine Alles-oder-nichts-Haltung bereits Erfolg. In den Umfragen geht die Zustimmung für die Tories steil nach oben.

Das ist sicher auch auf die Berichterstattung zurückzuführen. Die konservative Presse in Großbritannien schrieb nach dem Treffen mit Merkel in Berlin am Mittwoch von einem „Durchbruch“ für Johnson. Das schwächelnde britische Pfund ging umgehend einen halben Cent nach oben.

Dabei hatte die Kanzlerin lediglich die alte Linie wiederholt, dass man durch eine Einigung über die künftigen Beziehungen den umstrittenen „Backstop“, die Notlösung an der inneririschen Grenze, überflüssig machen könne. Aber im politisch aufgeheizten London interpretieren Brexit-Befürworter wie auch -Gegner jeden Halbsatz in ihrem Sinne.

Auch Macron äußerte sich gegenüber Johnson zuversichtlich, dass man innerhalb der nächsten 30 Tage zu einer Lösung kommen könne. Allerdings zeigte sich der französische Präsident in der Frage des „Backstop“ wenig kompromissbereit: „Wir müssen die Stabilität in Irland garantieren und die Integrität des europäischen Marktes gewährleisten“, sagte Macron.

Macron in der Rolle des „Bad Cop“

Deutlich gab er zu verstehen, dass er sich „keinen komplett neuen Vertrag“ vorstellen könne, weil der vorliegende die Frucht „extrem wichtiger und einstimmiger Arbeit“ sei. Mit anderen Worten ein Regelwerk, von dem man nicht abweichen werde, wenn es keine überzeugende Alternative gebe. Auf Nachfrage an Johnson, wie die aussehen könnte, bliebt der britische Premier gewohnt vage. Er stellte lediglich „technische Lösungen“ in Aussicht.

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Mit einem Grinsen sagte Macron abschließend, er werde immer als der „Härteste der Bande“ hingestellt. Doch ganz offensichtlich scheint er sich in der Rolle des „Bad Cop“ ziemlich wohlzufühlen.

Er betonte am Donnerstag, es bringe nichts, „sich weiter im Kreis zu drehen“, und fügte dann hinzu: „Unseren Demokratien fehlt es an Effizienz und Klarheit.“ Es läge jetzt „einzig und allein in der Hand des britischen Volkes“, eine Wahl zu treffen.

Der Johnson nahestehende „Daily Telegraph“ meldete unbeeindruckt von Macrons Einschränkungen kurz nach dem Treffen, die Europäer redeten nun erstmals davon, den Ausstiegsvertrag entgegen ihrer bisherigen Haltung aufmachen zu wollen.

Mit entsprechendem Willen konnte man Macrons Worte auch so verstehen. Der Präsident hatte gegenüber Johnson in der Tat nicht die Worte vom Vorabend gewählt. Da hatte Macron vor dem Presseklub des Élysée gesagt, Johnsons Forderung, den „Backstop“ neu zu verhandeln, sei „keine Option“. Zudem erwarte er weitere „Klärungen“ von Johnson. Angesichts der verfahrenen Lage rechne er nun entweder mit Neuwahlen und einem erneuten Referendum oder einem harten Brexit.

Während die britische Seite, zumindest die Tory-freundliche, Johnsons Europatour als vollen Erfolg verkaufte, sahen Beobachter auf dem Kontinent in dieser vielmehr eine Alibiveranstaltung. Deutsche wie französische Medien interpretierten Johnsons radikale Haltung in Sachen „Backstop“ als Versuch, der EU die Schuld an einem eventuell harten Brexit zu geben.

Der Politikwissenschaftlicher Christian Lequesne sprach von einem politischen Coup: „Er besteht darin, die Briten glauben zu machen, dass die Europäische Union keine Einigung wünscht. Johnson versucht die Konsequenzen des No Deal auf die Europäer abzuwälzen“, sagte Lequesne.

Beim Treffen mit dem Presseklub hatte Macron mehr als zwei Stunden lang über die Weltlage philosophiert und Ausführungen über die Krise der Demokratie gemacht, für die er den Brexit als weiteren Beleg sieht. Er gab zu verstehen, dass ein Ende mit Schrecken inzwischen weniger dramatisch sei als ein Schrecken ohne Ende.

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Es gibt mehrere Gründe für die harte Linie des Franzosen. Macron hat es immer schon eilig gehabt, er ist von Natur aus ungeduldig. Monatelanges Aussitzen im Merkel-Stil entspricht weder seinem Charakter noch seinem Politikstil.

Vor allem aber muss er die langwierigen Brexit-Verhandlungen als wesentliches Hindernis seines Wahlversprechens verstehen, die EU zu reformieren und ihr zu neuer Stärke zu verhelfen. Deswegen hat er auch im Frühjahr in Brüssel im Alleingang auf einer nahen Deadline für den Brexit bestanden.

Die Aussicht darauf, dass Großbritannien an den Europawahlen teilnehmen sollte und britische Abgeordnete die Arbeit des Europarlaments womöglich über Monate oder Jahre blockieren könnten, galt im Élysée-Palast als Horrorszenario. Bislang hat es Macron mit seinen Vorschlägen zur Reform der EU nicht weit gebracht.

Die Zeit rennt ihm davon, und wenn er bis zum nächsten Präsidentschaftswahlkampf nicht Ergebnisse vorlegt, könnte das für ihn das größte Handicap für eine Wiederwahl sein. Der Wahlsieg eines antieuropäischen, populistischen Kandidaten wäre dann ein mögliches Szenario.

Die Gespräche mit Trump und Johnson werden nicht leicht

Vor dem G-7-Gipfel in Biarritz gibt es zahlreiche Streitpunkte zwischen den größten Industrienationen. Über das Brexit-Abkommen herrscht Uneinigkeit, und auch die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump sorgt für Zündstoff.

Quelle: WELT/Michael Wüllenweber

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